12.05.2012
Von Bernd Stobäus / Peiner Nachrichten
Stahlstadtexpress auf nostalgischer Zeitreise nach Peine.
Peine – Dieses Knattern kannte damals fast jedes Kind. Man musste ihn nicht sehen, es reichte, seine Fahrgeräusche zu hören: Der knallrote Stahlstadtexpress zwischen Peine und Ilsede.

Einfahrt Ilsede / Foto Bernd Stobäus
So liebevoll hieß dieser Zug der ehemaligen Peine-Ilseder-Eisenbahn. Jetzt war eines der letzten Exemplare dieses Schienenbusses im Landkreis Peine auf einer Industrie-Nostalgiereise unterwegs.Mehr als 200 Gäste genossen zwei Fahrten auf dem historischen Netz der Peine-Ilsede-Eisenbahn (PIE) zwischen Peine und Ilsede in einem Schienenbus, der dem ehemaligen Stahlstadtexpress bis auf die Bemalung geradezu baugleich ist. Früher konnte man die rote Farbe des Busses, der meist aus zwei Fahrzeugen bestand, schon von weitem erkennen. Jetzt begrüßte die Bahn Fahrgäste und erstaunte Schaulustige mit einem dezenten Weiß mit orangenen und dunkelblauen Streifen .
Vor seiner Fahrt zwischen Ilsede und Peine hatte der MAN-Schienenbus des Vereins Osnig-Bahn seine Gäste über die Streckennetze der ehemaligen Salzgitter Verkehrsbetriebe und der Eisenbahn Groß Ilsede-Broistedt geführt. Jürgen Elsholz, Organisator der Industrie-Reise: „Es geht aber nicht nur um eine Bahnfahrt an sich. Wir möchten die Geschichte dieser Region wieder ins Gedächtnis rufen.“ Vorbei ziehen ehemalige Erzlagerstätten, alte und neue Industrieanlagen, Naturlandschaften. „Eine Umgebung, aus der sich unsere Zukunft entwickelt“, so Elsholz.
Das berühmte „Knattern“ kommt schnell näher
An diesem Reisetag trifft der alte Schienenbus gegen Mittag in Groß Ilsede ein. Die alte Bahnschranke in der Mitte der Ortschaft senkt sich gemächlich. Es ist viertel vor zwölf. Fast scheint es, als würden vergangene Zeiten zurückkehren. Wie mit einem freundlichen Lächeln aus zwei Scheinwerfern taucht der Stahlstadtexpress im Hintergrund aus den Baumreihen auf. Zunächst erscheint er noch lautlos. Doch dann kommt das berühmte „Knattern“ schnell näher. Der Doppeltriebwagen rauscht rasant über den Bahnübergang und hält kurz dahinter auf freiem Feld. Viele Passanten drehen erstaunt und vergnügt die Köpfe – ein solcher Triebwagen war schon lange nicht mehr zu sehen. Vielen ist er sogar noch nie zu Gesicht gekommen.
Zügig verlassen dann die Fahrgäste den Wagen am nahen Feldrand. „Wir haben ein satte halbe Stunde Verspätung“, mahnt Elsholz. Doch das ist für die Fahrgäste kein Grund, ärgerlich zu sein. Ganz im Gegenteil, es herrscht beste Laune. „Die Verspätung nehmen wir gern in Kauf“, sagt Jürgen Pape. Der Mittsechziger hat mit seinem etwas älteren Bruder Friedhelm die Fahrt unternommen. „Für uns ist das Nostalgie pur“, erklärt der auch prompt. So eine Fahrt sei wie eine Reise in die Vergangenheit. „Wir denken gern daran zurück, wie wir in unserer Jugend mit einem ähnlichen Bus viele Male von Groß Ilsede aus in die Stadt gefahren sind“, fährt Bruder Jürgen fort. Die jetzige Fahrt sei eine schöne Gelegenheit für die Geschwister, wieder einmal etwas gemeinsam zu unternehmen und in Gedanken an früher zu schwelgen.
Die Gäste erfreuen sich am Anblick der bunten Wagen
Viele andere Fahrgäste allerdings können nicht auf solche Erinnerungen zurückgreifen. Aber sie sind Eisenbahn-Fans und erfreuen sich allein am Anblick der weiß-blau-orangenen Wagen. Nachdem sie den Zug in Ilsede verlassen haben, nutzen sie kleine Erhebungen neben dem Acker, um ein Foto von dem Schmuckstück aus etwas höherer Perspektive zu erhaschen. „Eine Augenweide“, hört man einen Fotografen murmeln. „Bitte gehen Sie doch einmal alle vom Zug weg, damit wir nur von ihm allein ein Bild machen können“, heißt es da.
Während die Fotoapparate munter klicken, sind die meisten der anderen Fahrgäste bereits bei einem kleinen Abstecher auf dem Hüttengelände unterwegs. Aber aus der ursprünglich vorgesehenen umfangreichen Führung wird nichts. „Wir müssen pünktlich in Peine ankommen“ erinnert Elsholz. Für ein paar Schritte und ein Erinnerungsfoto ist jedoch allemal Zeit. Die Gruppe geht vor einem historischen Eisenbahnwagen in Stellung, in dem flüssiges Eisen transportiert wurde. Dann laufen die Fahrgäste zurück zum Zug und weiter geht es in Richtung Peine.
„Eisenbahn-Nostalgie heißt aber nicht nur in Erinnerungen schwelgen“, meint Hans-Jürgen Korn vom Verein Osnig-Bahn. „Es heißt auch gute Laune und Geselligkeit.“ Mit zehn Vereinsmitgliedern sorgt er dafür, dass die Fahrt reibungslos funktioniert. Alles läuft ab wie ein Uhrwerk, jeder weiß Bescheid. Pünktlich zu jedem Halt zum Beispiel werden vor den Bahntüren die kleinen Ausstiegsbänkchen ausgestellt.
Im Zug deutet Korn auf die voll besetzten Plätze. Dort prosten sich Fahrgäste in bester Laune zu. Hier ein Bierchen, dort ein Sekt, hier ein kleiner Imbiss bei einer munteren Plauderei. „Wie ist die Stimmung“, fragt Korn in den Zug. „Super“, kommt es einstimmig aus vielen munteren Kehlen.
Im Hintergrund gibt es aus Lautsprechern immer wieder Informationen über die vorbeiziehende Landschaft und Sehenswürdigkeiten. Wer möchte, kann sich von Marcus Kühn persönlich ausführlich erklären lassen, wie ein alter Stahlstadtexpress gefahren wird. Kühn ist Zugführer, hat auch eine Zusatzausbildung für den Schienenbus gemacht. Eine große Überraschung gibt es, als auf einmal ein Mitreisender in Uniform auftaucht. „Sollte hier etwa kontrolliert werden?“ Weit gefehlt! Hier ist Ulrich Twardowski unterwegs, der früher bei der polnischen Staatsbahn gearbeitet hat. „Ich mache häufig solche Reisen in meiner Uniform. Es ist ein Hobby“, erklärt er erfreut. So unterwegs war er schon um den halben Globus, in Kanada oder den USA zum Beispiel.
Viel Zeit bleibt allerdings nicht für lange Gespräche: In wenigen Minuten hat der Zug seinen Weg gemacht zwischen Groß Ilsede und Peine. Auf dem Bahnhof dann steigen noch einmal Gäste zu und freuen sich auf die zweite Reise über das Schienennetz der ehemaligen Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter am anschließenden Nachmittag.
Ende 1969 fuhr der Zug seine letzte Strecke
Der MAN-Schienenbus war auf seinen beiden Nostalgie-Fahrten auf der ehemaligen Strecke der Peine-Ilseder Eisenbahn unterwegs, die heutzutage nur noch selten befahren wird.
Der echte Stahlstadtexpress wurde seit Sommer 1957 auf der sieben Kilometer langen Strecke der PIE vom Bahnhof Peine nach Ilsede eingesetzt. Das Ende des Personentransportes erfolgte bereits gut zwölf Jahre später im Jahr 1969.
Die Fahrzeuge, die bei der Industriereise im Einsatz waren, wurden ursprünglich für den Nebenbahnverkehr der Mittelbadischen Eisenbahnen gebaut. Dort war der Zug sogar bis 2009 im Einsatz. Der Verein Osnig-Bahn erwarb die Fahrzeuge im Februar 2011 und restaurierte sie in mühevoller Kleinarbeit. Die Bahn besteht aus einem Motor- und einem Steuerwagen.
>> Pressemitteilung Peiner Nachrichten
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Marcus Kühn / Foto Bernd Stobäus
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Einfahrt Ilsede / Foto Bernd Stobäus
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Ulrich Twardowski (Mitte) / / Foto Bernd Stobäus